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Pressemitteilung: Darf man ein gerichtlich bestelltes Gutachtergespräch aufzeichnen? – Oder darf ein Gutachter ein falsches Zeugnis ablegen?

Spätestens seit der Veröffentlichung der Studie „Begutachtungsmedizin in Deutschland am Beispiel Bayern“ aus dem Jahr 2013 von Jordan Benedikt[1] , Prof. Gresser an der LMU München ist die Neutralität von Gerichtsgutachten fraglich. Ergebnisse waren u.a., dass die Einnahmen bei 53 der 235 Befragten (22,6%) über 50% ausmachen. Die Psychologen führen diese Statistik mit einem Anteil von 48,8 %, gefolgt von den Psychiatern mit 29.2%. Ebenso interessierte Jordan Benedikt die Frage, der Signalisierung von Tendenzvorgaben. Während von den 219 Befragten eigene Erfahrungen hierzu mit 23,3 % in Einzelfällen bejahten, liegt die Quote bei Kenntnissen aus dem Kollegenkreis bei 31,8% (von 217 Antworten). Auch hier führen die Psychiater und Psychologen die Statistik (32% / 57,5%).[2] Auch die Studien von Prof. Dr. Werner Leitner an der IB Hochschule aus dem Jahr 2013/2014 zu 282 Familienrechtsgutachen zeigt auf, dass 4,8 % der Gutachten systematisch sind und 95,2 % unsystematisch sind. Während die Methode der Gesprächsführung bei 20% der Gutachten als wissenschaftlich spezifiziert und bei 80% (217 Gutachten) als unspezifiziert einzuordnen sind und nicht dem aktuellen Forschungsstand entsprechen. Auch an der Fernuniversität Hagen wurde unter Prof. Dr. Christel Salewski und Prof. Dr. Stefan Stürmer eine Untersuchung zu den Qualitätsstandard in der familienrechtspsychologischen Begutachtung im Rahmen einer Stichprobe im Gerichtsbezirk Hamm im Jahr 2014 durchgeführt.[3] Die Untersuchung zeigte erheblich Mängel auf inbes. der Einsatz diagnostischer Verfahren: unsystematische Gespräche, Beobachtung, keine bzw. ungenügende Testverfahren. Dies bestätigen auch die bekanntgewordenen Fälle, wie Gustl Mollath, Ilona Haslbauer und viele andere. Bis dato hat sich in der Begutachtungspraxis nichts geändert, so ergibt sich, nachdem derartige Gutachten über das Schicksal von Menschen entscheiden, dass die Betroffenen die Begutachtung kaum angreifen können oder ihnen diese gegeben wird. Nun stellt sich die Frage, wie die Begutachtung in der geforderten Qualität und Weise erfolgen kann.

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Diese Frage muss sich nun der Bundesverfassungsgerichtshof stellen, in dem er über die Entscheidung, ob eine Tonaufnahme eines Explorationsgespräches und die Vorlage des Transkripts bei Gericht als Beweis zulässig sind. Eine solche Aufnahme kann im Sinne der Wahrheitsfindung im Grunde keine Strafbarkeit auslösen, denn ein Gutachter handelt im öffentlichen Auftrag und hat die Pflicht vollständig und wahrheitsgemäß zu begutachten und die Qualitätskriterien einzuhalten. Auch ist erwartbar, dass ein Gutachten mit einer möglichen Aufzeichnung übereinstimmen sollte. Da ein Gutachten und dessen Aufzeichnung nicht voneinander abweichen dürften, die Gutachten für einen unbestimmten Personenkreis in einer öffentlichen Verhandlung gedacht sind und der Inhalt des Gespräches eher die Betroffenen im Kern Ihrer Privatsphäre trifft. D.h. im Grunde hat das Bundesverfassungsgericht darüber zu entscheiden, welche Grundrechte höher rangig sind bzw. ob ein Persönlichkeitsschutz oder auch Rechtsschutzbedürfnis seitens des Gutachters überhaupt existieren kann. Ein Betroffener muss auch nach EGMR die Möglichkeit haben, ein Gutachten angreifen zu können und Stellung beziehen zu können. Wenn aber weder die Teilnahme eines Dritten gestattet wird, das Gutachten weder die Art der Fragestellung noch einen wissenschaftlichen Ansatz hat, die Dokumentation lückenhaft bzw. gänzlich fehlt, kann der Betroffene seine Rechte nicht wahrnehmen und das Gutachten wird unangreifbar, weil nicht überprüfbar. Bei der Ermittlung von Schuldfragen ergeben sich neben der Rolle des Gutachters auch die Vermengung von faktischer Ermittler- und Richterfunktion. Ein weiterer Aspekt ist die Glaubwürdigkeit: Während dem Gutachter ein Vertrauensvorschuss eingeräumt wird, hat derjenige, der das Gutachten angreifen will bzw. Kritik daran übt, das Nachsehen. Verwiesen sei hierzu v.a. auch auf die Dissertation von Thierry Urwyler.[4] D.h. die Ablehnung einerseits von Begleitpersonen, die fehlende wissenschaftliche Methode und lückenhafte Dokumentation gehen zu Lasten der Begutachteten, denn einen Gegenbeweis kann dieser i.d.R. nicht antreten, da es sich um eine Aussage gegen Aussage – Konstellation handelt.

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Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gehen somit auch Entscheidungen über die Würde und Freiheit des Menschen und deren Justizgrundrechte für ein faires Verfahren einher. Für Betroffene und Verletzte von falschen oder unvollständigen oder Gefälligkeitsgutachten hat die Entscheidung eine enorme Bedeutung.

[1] (https://edoc.ub.uni-muenchen.de/19622/1/Jordan_Benedikt.pdf)

[2] Dtsch Arztebl 2014; 111(6): A-210 / B-180 / C-176; https://www.aerzteblatt.de/app/print.asp?id=154014

[3]Salewski, Christel / Stürmer, Stefan: Qualitätsmerkmale in der Familienrechtspsychologischen Begutachtung – Untersuchungsbericht I. 2014: https://www.fernuni-hagen.de/gesundheitspsychologie/forschung/qualitaetsstandarts-gutachten.shtml

[4] Urwyler, Thierry. „Teilnahmerecht der Verteidigung am Explorationsgespräch des psychiatrischen Sachverständigen mit der beschuldigten Person im Lichte der EMRK, Zürich, Schulthess Verlag 2019