EuGH stärkt Urlaubsanspruch

Stefani Dach, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Zur Auslegung des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG (Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindesturlaub von 4 Wochen erhält) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU (Jede:r Arbeitnehmer:in hat das Recht auf bezahlten Jahresurlaub):

– Der Urlaubsanspruch verfällt auch bei Langzeiterkrankten und erwerbsgeminderten Arbeitnehmern nicht nach 15 Monaten, wenn der Arbeitgeber es versäumt, auf den möglichen Verfall der Urlaubsansprüche aus dem Jahr, in dem die Arbeitnehmer vor ihrer Erkrankung oder Eintritt der Erwerbsminderung noch gearbeitet haben, hinzuweisen.
(Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.09.2022 – C-518/20 und C-727/20)

– Ansprüche auf bezahlten Urlaub können zwar der dreijährigen Verjährungsfrist nach nationalem Recht unterliegen. Der Arbeitgeber kann sich aber nicht auf Verjährung berufen, wenn er den Arbeitnehmer nicht vorab in den jeweiligen Jahren in die Lage versetzt hat, den Urlaub tatsächlich zu nehmen.
(Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.09.2022 – C-120/21; Leitsätze der Verfasserin)

Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG ist Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen. Eine Übertragung ist ggf. längstens bis Ende März des Folgejahres möglich.

Der EuGH hat bereits entschieden, dass Urlaubsansprüche grundsätzlich aber dann nicht erlöschen, wenn der Urlaub wegen fortdauernder Erkrankung nicht genommen werden konnte. Im Hinblick auf das Interesse des Arbeitgebers, vor der unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen geschützt zu werden, hat er jedoch anerkannt, dass Urlaubsansprüche in diesen Fällen 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfallen können.
Weiterhin hat der EuGH bereits festgehalten, dass Urlaubsansprüche im Übrigen nur dann erlöschen, wenn der Arbeitgeber zuvor rechtzeitig hierauf hingewiesen und die Arbeitnehmer:innen so in die Lage versetzt hat, den Jahresurlaub zur gebotenen Zeit zu nehmen. Die Verantwortung für die rechtzeitige Wahrnehmung des Urlaubs solle nicht vollständig auf Arbeitnehmer:innen als schwächere Partei des Arbeitsvertrages verlagert werden.

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Diese Rechtsprechung wurde nun in mehreren vom Bundesarbeitsgericht dem EuGH vorgelegten Fällen weiterentwickelt. Zum einen ging es in zwei verbundenen Fällen um die Frage, ob der Urlaubsanspruch, der in einem Kalenderjahr entsteht, in dem die Langzeiterkrankung oder volle Erwerbsminderung eingesetzt hat, aber in dem zuvor auch tatsächlich gearbeitet worden ist, auch 15 Monate nach Ende des Jahres verfallen kann (z.B.: Langzeiterkrankung ab November 2017, Erlöschen des Urlaubsanspruchs für 2017 mit dem 31.03.2019, wenn bis dahin durchgehend krank?). Der EuGH verweist darauf, dass die Begrenzung auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten bei einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit eine Ausnahme darstellt, die dadurch gerechtfertigt ist, dass der Arbeitgeber vor einer unbegrenzten Ansammlung von Urlaubsansprüchen über viele Jahre geschützt werden soll. Dies ist aber nicht übertragbar auf den Urlaubsanspruch für ein Jahr, in dem auch gearbeitet worden ist. Hier kommt es vielmehr, wie sonst auch, darauf an, ob der Arbeitgeber die Arbeitnehmer:innen rechtzeitig in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch auszuüben.

In der zweiten oben angeführten Entscheidung hatte der Arbeitgeber dies ebenfalls versäumt; entsprechende Hinweise auf einen möglichen Verfall des Urlaubs hat es während des Arbeitsverhältnisses nicht gegeben. Das Arbeitsverhältnis ist inzwischen beendet und die Arbeitnehmerin will die Abgeltung von Urlaubsansprüchen erreichen, auch für Urlaubsjahre, die bereits mehr als 3 Jahre zurücklagen. Demgegenüber hat der Arbeitgeber sich auf Verjährung berufen, die regelmäßig 3 Jahre nach Ablauf des Urlaubsjahres eintritt (§§ 194, 195, 199 BGB). Dies lässt der EuGH nicht gelten. Die Gewährleistung der Rechtssicherheit durch Verjährungsregeln dürfe nicht als Vorwand dafür dienen, dass der Arbeitgeber aus seinem Versäumnis am Ende noch einen Vorteil zieht. Die Verjährung kann also nur greifen, wenn der Arbeitgeber die Arbeitnehmer:innen zuvor in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen und entsprechende Hinweise erteilt hat.

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Fazit:
Der EuGH hebt erneut die große Bedeutung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, der sogar in der Grundrechte-Charta der EU verankert ist, und die entsprechend hohen Anforderungen an eine Begrenzung des Anspruchs hervor. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG die Vorgaben des EuGH umsetzt. So bleibt beispielsweise unklar, wie der Arbeitgeber darlegen kann, rechtzeitig vor einer dann bis zum Ende des Urlaubsjahres andauernden Erkrankung auf einen möglichen Verfall des Urlaubs hingewiesen zu haben, wenn er von der Erkrankung und dem Zeitpunkt des Auftretens derselben vorab keine Kenntnis haben kann.

Stefani Dach, Rechtsanwältin
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